Montag, 1. Juni 2009

Halbzeit: Nachdenken über Bangladesch I

Vor drei Monaten bin ich in Dhaka gelandet, unklar, was mich erwarten würde. Nicht viel war mir bekannt über Bangladesch: zu viel Wasser, zu viele Menschen, zu viel Armut, was man in den deutschen Medien eben an spärlichen Informationen bekommt. Tatsächlich sind das große Probleme hier. Die Armut ist allgegenwärtig und hat viele Gesichter: das kleine Mädchen, das an der dicht befahrenen Kreuzung versucht mit dem Verkauf von Blütenkränzen 10 Taka (0,11 €) zu verdienen, der behinderte Bettler, die zahnlosen Alten auf dem Land. Aber auch der Rickscha-Fahrer, dem man 20 Taka gibt, lebt höchstwahrscheinlich in einem der Slums und viele der Arbeiterinnen, die unsere T-Shirts und Pullover im Akkord nähen.

Und ja: es gibt zu viele Menschen. In Bangladesch ist man eben nie allein, sondern, zumal als Ausländer, stets umringt von einer Gruppe Leute. Neben dem Gefühl Teil einer großen Gemeinschaft zu sein, bringt die Überbevölkerung existenzielle Probleme mit. Die Versorgung der Städte mit Trinkwasser wird, meiner Ansicht nach, das größte Problem der Zukunft werden, aber auch die Ernährungslage ist nicht immer und überall sicher. Der Hunger lebt auf dem Land.
Da die Bevölkerung noch weiter wächst (wenn auch langsamer als noch vor zehn Jahren), werden sich die zahlreichen Probleme noch zuspitzen. Zumal die Landesfläche wegen Überflutungen vom Meer her und von den Flüssen nicht gerade zunimmt. Das Wachstum der Städte wird nicht nachlassen, die urbane Infrastruktur ist aber (in Dhaka auf jeden Fall) längst kollabiert: immer Stau, tägliche Stromausfälle mit Effekten auf die Wasserversorgung, kein Abwassersystem, viel zu wenig Kläranlagen, keine funktionierender Nahverkehr. Vor allem der Verkehr, damit verbunden Smog und ein feiner Staub, der aufgewirbelt wird, macht mich wahnsinnig. Es gibt nur wenige Parks oder offenen Raum, um mal zu entspannen, die kulturellen Attraktionen der Stadt sind in der Regel zu weit entfernt von meinem Wohnort, als dass ich die Nerven hätte, mir das eine oder andere anzusehen.

Trotzdem übt das Land und seine Bewohner noch immer eine bizarre Faszination auf mich aus. Bangladesch ist so ganz und gar das Gegenteil von Deutschland. Die Leute sind Muslime, fest in der Großfamilie verwurzelt, arm und leben entweder in unglaublich überfüllten Städten oder in Dörfern, wie sie traditioneller nicht sein könnten. Das macht es mir irgendwie auch einfacher die Situation so hinzunehmen, wie sie ist. Vergleiche mit Deutschland sind einfach unangebracht und passen nicht, schlicht, weil hier einfach alles anders ist.

Was ich lerne, ist, angesichts der Armut, die einen verzweifeln lässt, die kleinen Dinge zu sehen und eine ganz neue Art von Optimismus zu entwickeln. Ohne eine psychologische Überlebensstrategie würde ich hier wahrscheinlich jeden Tag einen depressiven Zusammenbruch bekommen und das Elend der Welt beweinen. Andere, meist Leute, die schon länger in Bangladesch arbeiten, pflegen einen Zynismus, um ihre gute Laune zu bewahren oder verstecken sich in den abgeschlossenen internationalen Clubs mit Pool und Wiener Schnitzel vor den Realitäten. Dabei ertappe ich mich auch oft genug. Die meisten Bangladeschis pflegen einen gelassenen Fatalismus: Inshallah – So Gott will. Einfache Gemüter sind sie meist, zufrieden nach einer guten Mahlzeit, oft ein Lied auf den Lippen. Sie kennen oft nichts anderes, sind niemals rausgekommen (wenn sie nicht zwangsweise migrieren mussten). Ich glaube, sie wundern sich manchmal, wie etwa Dhaka in so kurzer Zeit so ein Monster werden konnte. Arm waren die Leute aber schon immer. Ich will keineswegs behaupten, dass ich wirklich verstanden haette, wie die Leute hier ticken. Zwar nehme ich Bangla-Unterricht, aber trotzdem bleibt mir der Zugang zu den meisten Bangladeschis ganz verwehrt. Ob sich meine Beobachtungen mit den Lebenswirklichkeiten der Leute decken, sei mal eher bezweifelt.

Was ich recht genau beobachte und was mich wirklich ärgert, ist die kleine aber reiche Oberschicht, die zu aller erst damit beschäftigt ist ihren Reichtum zur Schau zu stellen, ohne sich für die Probleme der Armen (wir reden hier von 70% der Bevölkerung oder über 100 Millionen Menschen) zu interessieren. Lieber fliegen sie übers Wochenende nach Europa, um einzukaufen oder importieren Luxuskarossen zu höheren Preisen als diese in Europa kosten würden (für einen Mercedes Benz sind 300% Zoll fällig). Ihre Einkommen beruhen in der Regel auf der Ausbeutung billiger Arbeitskraft in den Fabriken, Landbesitz oder aus einem dichten Nexus von Korruption und komplex verflochtenen Abhängigkeiten, der die Bezeichnung Politik nicht verdient. Dabei bräuchte dieses Land fähige Politiker mit Ziel und Durchsetzungswillen, die nicht nur an ihrem eigenen Vorteil interessiert sind.

Viele Leute wandern, angesichts der widrigen Lage, aus; zum Arbeiten oder zum Studieren. Gerade die, die in den USA, Europa oder Australien studieren, suchen sich meist dort einen Job und kommen dann nur noch zu Besuch nach Bangladesch zurück. Umso mehr respektiere ich die, die zurückkehren, im Bewusstsein, dass die Welt außerhalb von Bangladesch noch andere Maßstäbe kennt. Einige von ihnen bringen zudem das mit, was dem Land fehlt, gleichzeitig aber entscheidend ist: eine Vision.

Leider muss ich da auch passen. Ich bin selbst gespannt, wie ich die Dinge nach weiteren drei Monaten sehe.
Der nächste Brief kommt dann erstmal aus Nepal.

2 Kommentare:

  1. hi,

    erzähl mal was von deiner arbeit. die hast du doch da auch oder bist nur auf entdeckungsreise?

    gruß dein ehemaliger wg-companio enrico

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  2. hey toni, is echt krass was du uns hier beschreibst. ich find das echt stark von dir das du weiter machst und dran bleibst... wenn du wieder kommst machst du hoffentlich ma ne besuchsrunde :) hab ganz viele fragen!

    ich denk oft an dich
    lg melanie

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