Sonntag, 10. Mai 2009

Gedanken an Kafka

(Das Gebäude der Dhaka City Corporation (DCC); Quelle: http://www.banglapedia.net/)


Obwohl mein Projekt nicht in Dhaka arbeitet, sind wir auf einen interessanten Fall von low cost housing (Erschwinglicher Wohnraum) in der Hauptstadt gestoßen, den die lokalen Behörden selbst implementiert haben und von dem wir hoffen, lernen zu können. Für die Recherche zu einem Artikel darüber habe ich einen Termin mit dem Slum Development Officer (SDO) von Dhaka im Verwaltungshauptquartier der 15-Millionen-Stadt. Ein honorabler Job, denke ich mir, dieser Mann muss ein hohes Maß an Courage und Engagement mitbringen. Immerhin schätzt man die Einwohnerzahl der provisorisch aus Blechhütten zusammengebauten Viertel allein in Dhaka auf rund drei Millionen, Tendenz steigend. Einiges ist da zu tun und das nicht erst seit gestern.


Zusammen mit meiner Kollegin, die als Consultant für die GTZ arbeitet, betrete ich das riesige Gebäude, das ein wenig an kommunistische Protz-Architektur erinnert. Mit seinen massive Betonwänden und den langen dunklen Gängen suggeriert das Gebäude der Dhaka City Corporation (DCC) nach außen Macht und Autorität. Was ich jedoch im Innern des Gebäudes erlebe, ist irgendwo zwischen surreal und zum Verzweifeln, in jedem Fall weit entfernt vom Eindruck einer kompetenten Behörde, die irgendetwas anpackt.


Wir betreten das Büro des Officers. Ein etwas feister Mann Mitte Vierzig sitzt da entspannt hinter seinem Schreibtisch. Ein stilsicheres Hemd, das sicher nicht ganz billig war, hat er an, auch die Uhr an seinem Arm sieht teuer aus. Weitere vier Personen sind mit im Raum, nur einer von ihnen ist Angestellter der DCC. Als wir uns dem SDO vorstellen, nimmt er kurz Notiz von uns, wirkt aber abgelenkt. Was wir wollen, fragt er. "Wir arbeiten an einem Artikel zu low cost housing in den Slums", beginnt meine Kollegin. "Wieso kommen Sie da zu mir?", antwortet er. "Auf Ihrer Webseite steht, Sie seien zuständig", erwidert meine Kollegin, "auch am Telefon versicherte man uns das." Etwas nervös greift der SDO schnell zum Telefon, um sich Verstärkung anzurufen, die alsbald in Gestalt eines weiteren externen Mitarbeiters, der von der UN bezahlt wird, erscheint. Derweil beginnen die anderen im Raum, die eigentlich nur zufällig im Büro des Offiziellen sitzen, zu fachsimpeln. Nachdem sich alle Anwesenden nach einigem Pallaver geeinigt haben, dass alle möglichen Abteilungen der DCC für den Hausbau in den Slums zuständig sind, nur nicht das Slum Development Department, ist bereits eine halbe Stunde vergangen. Der eigentlich Zuständige hat in dieser Zeit vielleicht zwei Sätze gesagt, die keinerlei relevante Informationen enthielten. Er sei der einzige Slum Development Officer in Bangladesch, lässt er uns wissen (was Unsinn ist). Ständig unterschreibt er irgendetwas, verlässt den Raum zwischenzeitlich, scheint unsere Anwesenheit aber gar nicht weiter wahrzunehmen.


Einer der Personen im Raum, der zwischen mir und dem Schreibtisch des SDO Platz genommen hat, beantwortet die Fragen, die ich an den Offiziellen zu richten versuche. Er stellt sich mir als Mitglied einer NGO vor, die zu Kinderarbeit in den Slums arbeitet. Ich schaue in Richtung SDO und frage: "Wofür ist das Slum Development Department denn zuständig?" "Wissen Sie, wir kümmern uns vor allem um die Situation der Armen in den Slums in Dhaka", antwortet mir der ungefragte Mittelsmann. "Und was konkret tuen Sie für die Armen?" Derselbe: "Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Verbesserung der Situation der Armen." Ein bisschen wie in Kafka's Prozess komme ich mir vor.


Als ich nach dem Budget frage, die erste brauchbare Antwort: 30 Millionen Taka (3,2 Mio. €) im Jahr. "Und wofür geben Sie das aus?" "Vor allem für Straßenbeleuchtung und Fußwege", antwortet erneut der Mittelsmann. Als ich zum dritten Mal darauf bestehe, meine Frage direkt vom SDO beantwortet zu bekommen, blickt mich dieser kurz an. "Wenn Sie auf die Situation der Slums in Dhaka schauen, was hat denn Ihrer Meinung nach Priorität?", frage ich. "Das wichtigste ist, meiner Meinung nach, die Verbesserung der Wohnsituation in den Slums", spricht es vollen Ernstes von hinter dem Schreibtisch. "Gibt es denn geplante Projekte zur Verbesserung der Situation in den Slums?" Deutlicher als ich zu diesem Zeitpunkt erwartet hatte: "Nein." Es folgt ein fünfminütiger Vortrag über Bangladesch, beginnend beim 17. Jahrhundert und wir geben auf. Als wir uns verabschieden, versichert man uns, dass wir selbstverständlich jederzeit wiederkommen können, sollten wir noch Fragen haben.


Die ganze Interviewsituation war derart grotesk, dass meine Kollegin und ich schon auf dem Gang anfangen zu lachen. Auf dem Weg zurück ins Büro, Analyse: saß uns da eben ein gewiefter PR-Stratege gegenüber, der sich, warum auch immer, gekonnt um jede Antwort gedrückt hat? Oder hat dieser Bürokrat einfach nicht die leiseste Ahnung, wofür er verantwortlich ist? Wohl eine Mischung aus beidem, schließen wir. Ich, persönlich, bin enttäuscht, dass ich nicht die gewünschten Informationen bekommen habe und entsetzt, dass die Verbesserung der Straßenbleuchtung als wichtiger angesehen wird, als die Herstellung humanitärer Grundlagen. Meine Kollegin dagegen ist froh, nicht mit diesem Mann zusammenarbeiten zu müssen.

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