Donnerstag, 30. April 2009

Die Hierarchie der Straße


Wenn jemand vorhätte, seinen Doktor in Verkehrspsychologie zu machen, dann wäre Dhaka der richtige Ort dafür. Der tägliche Verkehrskollaps macht die Leute wahnsinnig und mich auch. In einem Taxi zu sitzen, hat immer etwas von einer Achterbahnfahrt. Weil, abhängig von der Tageszeit, eigentlich immer Stau ist, (mal mehr, mal weniger) wird jedes kleine Loch im Verkehr sofort wieder aggressiv gefüllt. Als Verkehrsteilnehmer muss man sich seinen Platz erkämpfen und darf niemals Schwäche zeigen. Auf Rücksicht braucht man nicht zu hoffen, vor allem nicht als Fußgänger. In der Hierarchie der Verkehrsmittel ist man zu Fuß der letzte nach Rikscha, Baby-Taxi, Auto, Bus und Laster.


(Rikscha-Haltepunkt in Dhaka. Verkehrsschilder sind hier als Vorschläge zu verstehen.)

(Das typische "Baby-Taxi" ist im Wesentlichen ein motorisiertes Dreirad. Für längere Distanzen innerhalb der Stadt ist es das ideale Verkehrsmittel, da wendig und schnell. Um die Luftverschmutzung in der Stadt etwas zu begrenzen, fahren die "Baby-Taxis" inzwischen fast alle mit Flüssiggas (CNG).)


(Mein persönlicher Liebling, leider nicht für jedermann.)

(Taxi in Dhaka, die meisten Autos dieser Klasse sehen so aus. Die meisten sind von der indischen Marke Tata. Eine bangladeschische Automarke gibt es nicht.)

(Eins von den besseren Taxis: es hat Klimaanlage und ist in einem erstaunlich guten Zustand.)

(Die typischen Busse in Dhaka. Mangels U-Bahn oder S-Bahn sind sie das einzige Massenverkehrsmittel. Der Bus stoppt etwa 20 Sekunden. In dieser Zeit springen die Fahgäste auf, drinnen steht ein Typ dessen Aufgabe darin besteht die Fahrgäste in den Bus zu zerren. Unnötig zu erwähnen, dass es die Fahrpläne von geringer Bedeutung sind. Einen Bus ohne Beschädigung habe ich im Übrigen noch nie gesehen.)

(LKW in Dhaka: auch wenn sie quasi die Spitze der Hierarchie bilden, sind sie nicht immun gegen Unfälle.)

Man erzählt sich, dass etwa 70% der Autofahrer mit gefälschtem Führerschein fahren, was ich für absolut glaubwürdig halte. Das führt zu skurillen Situationen: etwa auf Kreuzungen von Nebenstraßen. Normales Verhalten ist, mit 50 km/h auf die Kreuzung zu preschen und ständig zu hupen. Das soll soviel bedeuten, wie: "Ich komme! Macht alle Platz!" Da das aber im Zweifelsfall die Fahrer aus den anderen drei Richtungen genauso sehen, ist die Kreuzung rasch verstopft. Statt ein Auto vorzulassen, besteht jeder auf seine Vorfahrt, begleitet von aggressivem Hupen natürlich. So eine Situation kann schon mal zwei Minuten dauern. Am Ende ist der Rickscha-Fahrer Schuld, der zuletzt in die Szene gekommen ist. Wild gestikulierend regen sich alle auf, bis sich der Knoten plötzlich löst, begleitet von weiteren Hup-Attacken. Gehupt wird übrigens auch, wenn eine Straße komplett dicht ist und sich absolut nichts bewegt, ein Reflex der Verzweiflung.

Montag, 27. April 2009

Dhaka wird wahnsinnig

Das ist selbst den hartgesottenen Bangladeschis zu viel. Mein Ricksha-Fahrer heute morgen ächzte schon um acht bei jedem Tritt in die Pedale. 42,2 Grad Spitze in Jessore, 38,7 Grad in Dhaka und das im April! Seit 14 Jahren war es nicht so heiß in der Hauptstadt. Und als ob das nicht genug wäre, gibt es mehr Stromausfälle als sonst, in einigen Stadtteilen kein Wasser mehr und kein Gas. Dafür vermehren sich die Moskitos prächtig und Keime, die zu Durchfall führen. Die Krankenhäuser sind überfüllt mit Diarrhea-Patienten, Leuten mit Schlaganfall und Hitzschlag. Passend titelt der Daily Star dazu heute: "Dhaka gone crazy"

(links: ohne diesen kleinen Kasten, hätte ich wohl auch schon einen Hitzschlag bekommen)







Gott sei Dank gehöre ich zu dem glücklichen einen Prozent mit vernünftiger Klimaanlage im Büro und zu Hause. Einmal kurz habe ich mich heute zum Mittagessen herausgetraut, der Schweiß begann mit Verlassen des Büros zu laufen. Auf dem Asphalt hätte ich mir einen Toast machen können. Etwas aus Metall anzufassen, wäre ein Fehler gewesen. Wie das Ende der Trockenzeit fühlt sich das nicht an. Wirklich Wahnsinn!

Samstag, 18. April 2009

Ausflug in die Hill Tracts


14. April: Bengalisches Neujahrsfest. Mehr Farben, mehr Menschen, in Dhaka bricht der Verkehr völlig zusammen. Selbst die Rickscha-Fahrer, die für gewöhnlich irgendeinen Weg finden, stehen im Stau.
Ich habe Urlaub genommen und mache ich mich am Abend auf den Weg nach Osten. So lange die Temperaturen (obwohl Spitzen von 35 Grad schon vorkommen) es noch zulassen und es nicht die ganze Zeit regnet, will ich mir den Bandarbans-Distrikt, auch bekannt als Chittagong Hill Tracts, ansehen. Die selbstmörderischen Landstraßen und den Stau in Dhaka vermeidend, habe ich mich diesmal für den Nachtzug als Verkehrsmittel entschieden.

(Die Flammen reinigen den Hügel...)

(...und schaffen Platz für die Saat des neuen Jahres)

Ausgeschlafen (das Schlafabteil der ersten Klasse ist durchaus mit deutschem Standard vergleichbar) verlasse ich Chittagong am nächsten Morgen per Jeep. Nach Passieren des Army-Checkpoints, bei dem man sich noch immer registrieren muss, erreiche ich den Bandarbans-Distrikt. Die mich umgebenden Hügel sind nicht so grün wie ich erwartet hatte, manche sind, im Gegenteil, schwarz. In der Ferne steigt Rauch auf. Mit dem Ende der Trockenzeit werden hier traditionell die trockenen Sträucher und das herabgefallene Laub abgebrannt. Die Asche dient dann als Dünger für die Bewirtschaftung der Hügel während der Regenzeit. Angebaut werden vor allem Bananen, Ananas und Tabak.

(Wäsche und Kochen ist bei den Stämmen Frauensache)

Ein kleines Floß bringt mich vom Guest-House in den Ort Bandarban. Entlang des Sangu-Flusses (dem einzigen der Tausenden Flüsse Bangladeschs, der im Land selbst entspringt) waschen Frauen Wäsche und Geschirr, Kinder planschen und winken mir zu. Mehr als fünfzehn verschiedene Stämme und ethnische Minderheiten leben in der Region, die meisten von ihnen siedelten schon lange vor den Bengalen in den Hill Tracts. Äußerlich unterscheiden sie sich deutlich von den Bengalen, sie haben eher birmesische Züge (Arakanesen). Auch kulturell, religiös und sprachlich haben sie mit den Bewohnern des Nachbarlands Myanmar (Birma) mehr zu tun, als mit den bengalischen Bangladeschis. Das Christentum und der Buddhismus ist weit verbreitet. Daher verwundert es nicht, dass Myanmar den größten buddhistischen Tempel Bangladeschs gestiftet. hat.

(Der größte buddhistische Tempel Bangladeschs in Balaghata, in der Nähe von Bandarban. Quelle: Wikipedia, leider hat meine Kamera gestreikt)

In Bandarban läuft gerade ein Wasserfestival, eins der größten sozialen Ereignisse im Jahr. Eine Woche lang wird der Beginn des neuen Jahres feuchtfröhlich gefeiert. Feuchtfröhlich ist hier wörtlich zu verstehen, ist es doch Brauch sich bei dieser Gelegenheit gegenseitig mit Wasser zu beschmeißen (eigentlich Jungs gegen Mädchen). Gut, dass ich mich auch mit einer Flasche Wasser bewaffnet habe, denn die einheimischen Jungs haben keine Scheu mich in ihre Tradition mit einzubeziehen.

(Mädchen nach der Wasserschlacht in Bandarban)

Mit trockenem Hemd und Hose geht es am nächsten Morgen ins Dorf Chimbuk. Der Jeep schraubt sich mühsam die Serpentinen hinauf zu einem Aussichtspunkt von dem aus man, an klaren Tagen, bis Myanmar und Indien sehen kann. Bangladeschisches Militär nutzt die Erhöhung und belauscht von hier aus seine Nachbarn. Im Dreiländereck spielt sich eine Menge Illegales ab, vor allem Schmuggel, in den das Militär selbst verwickelt ist. Seit der Meuterei der BDR-Truppen (der Grenz-"Schutz") im Februar ist diese Einheit wohl nicht mehr an den lukrativen Geschäften beteiligt. Auch gewerbsmäßige Entführungen durch birmanische "Kleinunternehmer" kommen vor. Bablu, der Besitzer unseres Guest-Houses wurde selbst einmal von einer solchen Bande drei Wochen im Dschungel festgehalten. Zudem werden noch Guerillas der Stämme im Urwald vermutet, die sich in der Vergangenheit gegen Dhaka aufgelehnt haben. Die Armee ist daher überall in der Region mit Check-Points und Basen präsent, offiziell zur Gewährleistung der allgemeinen Sicherheitslage. Dass es dabei nicht in erster Linie um die Sicherheit der Minderheiten geht, erfahre ich am Nachmittag.

(Ein Dorf der Mru)

(Im Dorf)

Ein beschwerlich steiler Weg führt von der Straße hinab in ein Dorf der Mru. Eingebettet zwischen Hügeln stehen einfache Häuser auf Bambusstelzen. Wären die Dächer nicht aus Metall und die T-Shirts der Kinder nicht so bunt, könnte man meinen, einige hundert Jahre in der Zeit zurückversetzt zu sein. Die Alten sind nur spärlich bekleidet und tatsächlich bilden die Mru ("Mensch") die Urbevölkerung der Region. Von mir nimmt man kaum Notiz, nur die kleinen Hunde kläffen mich an. Weiße ist man hier gewohnt, jede Woche kommen genügend Touristen, um sich das Dorf anzusehen. Obwohl das Dorf traditionell angelegt und der Stil der Hütten ,jahrhundertealt ist, leben die Mru gerade einmal 15 Jahre an diesem Ort. Weil sie angeblich zu nah an einer der zahlreichen Armee-Basen siedelten, wurden sie von der Armee gezwungen, ihre angestammten Gebiete zu verlassen und hierher umzusiedeln.

(Ein Mann vom Stamm der Mru)

Das war und ist gängige Praxis und folgt Dhaka's Politik der Islamisierung bzw. Bengalisierung in den Hill Tracts. Ähnlich wie China in Tibet, so siedelt die Regierung von Bangladesch gezielt Bengalis in der Region an, die mittlerweile die Bevölkerungsmehrheit im Bandarban-Distrikt bilden. In keiner der staatlichen Schulen werden die Stammessprachen unterrichtet. Dass einige Mru-Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken, kann als passiver Widerstand gegen den Versuch der Auslöschung ihrer Kultur verstanden werden.
Seit der Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan (1971) kämpfen die Stämme um die Anerkennung als Minderheit und gegen den Landraub der Regierung (von 1977 bis 1997 auch mit Gewalt). Die Versprechen der Regierung, ihren Teil des Friedensabkommens von 1997 umzusetzen, wurden bisher nicht in vollem Umfang eingehalten. Auch kommt es noch immer zu Menschenrechtsverletzungen zum Nachteil der Stammesangehörigen.

Als ich das Dorf verlasse, verfinstert sich der Himmel schlagartig und es beginnt, worauf die Bewohner seit Monaten warten: der Regen. Majestätisch entlädt sich dis Wasser der Wolken über den Hügeln, um im selben Moment wieder zu verdunsten. Für mich eher ärgerlich, weil ich bis zum Mittag des nächsten Tages im Guest-House verbringen muss, bedeutet die Regenzeit für die Bewohner von Bandarban den Anfang der neuen Anbausaison und das pünktlich zum kalendarischen Neujahrsbeginn. In diesem Sinne also: Shubho nobo borsho! (Gesundes Neues!)



Mittwoch, 15. April 2009

Politik um Mitternacht

Eigentlich sollte der Zug nach Chittagong schon 23.30 Uhr da sein, aber er wird sich eine Stunde verspäten. Für die Bangladeschis am Bahnhof weniger eine Überraschung, als vielmehr eine Gelegenheit ins Gespräch zu kommen. Hamidul, vielleicht Mitte Dreißig, arbeitet für eine lokale NGO. Korruption in der staatlichen Eisenbahngesellschaft sei der Grund für die Verspätung des Zuges, dagegen könne man nichts machen. Und Korruption sei auch der Grund, warum die meisten seiner Landsleute noch immer in Armut lebten, trotz imposanten Wirtschaftswachstums der letzten Jahre. Woran es fehle, sei "leadership" in der Regierung, Politiker mit Führungsqualitäten.
Das Gespräch lenkt sich auf mich. Woher ich komme und was ich in Bangladesch mache, will er wissen. Als ich antworte, dass ich Deutscher sei und für die GTZ arbeite, ernte ich Anerkennung. Das ist meistens so. Bisher hatte ich immer das Gefühl, dass vor allem letzteres gewürdigt wird. Obwohl keine sehr große Organisation in Bangladesch, ist die GTZ doch recht bekannt. Aber etwas anderes scheint Hamidul wichtig zu sein. "I for myself like Hitler" fährt er unvermittelt fort. Eine starke Führungspersönlichkeit sei das gewesen, außerdem gegen die Briten und Amerikaner...und gegen die Juden. Etwas perplex antworte ich, dass Hitler vor allem ein Massenmörder gewesen sei, der einen furchtbaren Krieg vom Zaun gebrochen habe. "This guy was too aggressive and to kill the jews was one of the biggest crimes in history!", sage ich weiter. Aber die Juden seien doch der gemeinsame Feind der Christen und Muslime und überhaupt...(und da fällt es, das Reizwort für die muslimische Welt) Israel, sei ja auch aggressiv, antwortet er. Die Zahl der interessierten Zuhörer um uns herum hat in den vergangenen Minuten zugenommen und nachdem Hamidul das "böse Wort" ausgeprochen hat, warten diese gespannt auf meine Antwort. Jetzt ist Diplomatie gefragt. Zu viele Emotionen weckt die Israel-Frage in der islamischen Welt, als dass man sie in einer schwül-heißen Nacht, wie dieser, auf einem völlig überfüllten bangladeschischen Bahnhof diskutieren sollte. Politik kann in Bangladesch schon am Tag schnell hitzig werden. Vorsichtig sage ich, dass Israel ja eine direkte Folge der Nazi-Aggression sei und Hitler daher eigentlich nicht beliebt sein dürfte bei den Muslimen. Zu meiner Erleichterung sehe ich in diesem Moment (Dank an Allah und die Bangladesh Railway) den Zug einrollen, klopfe Hamidul auf die Schulter und verabschiede mich mit einem Lächeln.
Sympathien für Hitler habe ich schon ein paar mal aus dem Mund von Bangladeschis gehört. Das meinen die Leute in der Regel ganz im Ernst. Dazu ist vielleicht interessant zu wissen, dass die Befreiungsbewegung im Indien der Vierziger Jahre (zudem Bangladesch damals noch gehörte) gegen die britische Fremdherrschaft im bengalischen Teil Indiens ihren Anfang nahm. Sie profitierte natürlich von der Schwäche Großbritanniens nach dem Krieg. In diesem Sinne stellt sich Hitler manchen Leuten, in Unkenntnis der ganzen Geschichte und gemessen am Ergebnis für den Subkontinent, gar als etwas Positives dar.

http://www.transparency.org/news_room/in_focus/2008/cpi2008/cpi_2008_table