Donnerstag, 26. März 2009

Auf den Spuren des bengalischen Tigers



Heute vor 38 Jahren wurde die kleine Nation Bangladesch (damals Ost-Pakistan) geboren. In einem überaus brutalen Krieg haben sich die Bengalen von der Dominanz der Pakistaner (damals West-Pakistan) befreit. Über drei Millionen Tote und ein zerstörtes Land ließen die pakistanischen „Kolonialherren“ (wie sie hier gesehen werden) zurück. Einer der Auslöser für den Aufstand der Bengalen gegen die pakistanische Armee war ein gewaltiger Sturm, dessen Folgen die Offiziellen aus Islamabad weder in der Lage noch gewillt waren, zu beseitigen. Die Freiheitskämpfer waren weit unterlegen und mussten daher unerhörte Verluste hinnehmen. Erst mit Hilfe der Inder wurde die Unabhängigkeit schließlich möglich. Dieses Ereignis ist bis heute (das Label „freedom fighter“ findet sich gar auf Visitenkarten von Bangladeschern wieder) zentrale Erfahrung und Symbol für den nationalen Zusammenhalt in Bangladesch. Was könnte den Mut und den Stolz auf die Unabhängigkeit daher besser symbolisieren, als eine der größten Raubkatzen der Welt, der bengalische Tiger?

Aber der Unabhängigkeitstag ist nicht nur einer der wichtigsten Feiertage in Bangladesch, sondern auch Anlass für ein verlängertes Wochenende. Das nutze ich, um mal aus Dhaka herauszukommen und mir eine der schönsten Ecken Bangladeschs anzusehen. Die noch weitgehend unberührten Mangrovenwälder im Süden („Sundarbans“) sind durchzogen von Tausenden kleinen Flussarmen im gemeinsamen Delta von Brahmaputra und Ganges, der wohl größten Flussmündung der Welt. Eben weil dort viel Wasser den Fluss herunter fließt, ist das Gebiet überhaupt nur in der Trockenzeit zu bereisen und die endet Anfang Mai. Also nichts wie hin in den „Schönen Wald“ (was „Sundarbans“ ins Deutsche übersetzt bedeutet)!

Nach quälenden zwei Stunden Stop-and-go im alltäglichen Verkehrschaos lasse ich Dhaka hinter mir und besteige in Narayanganj (nur 17km entfernt!) einen kleinen Dampfer, zusammen mit Freunden von der GTZ, die das Wochenende auch nicht ungenutzt verstreichen lassen wollen. Nach einem Tag wohltuender Langeweile verbunden mit ausgiebigem Sonnenbaden erreichen wir die Küste in Kotka.

(Sonnenaufgang über den "Sundarbans")

(Morgendlicher Ausflug in den Dschungel)

(In diesem Bild versteckt sich eine Schlange)

Mit dem nächsten Sonnenaufgang begeben wir uns auf einem kleinen Kanu in die Schönheit des Tropenwaldes. Wir streifen bizarre Baumformationen, nur knapp vor uns erheben sich immer wieder paradiesische Vögel in die Luft. Auf dem Boot wird nur geflüstert, immerhin sind wir hier, um Tiere zu sehen. An den schlammigen Ufern kriechen unzählige kleine Molche und Krabben, gut getarnt genießt ein Leguan die Sonne. Was wahrscheinlich nur dem geübten Auge unseres Guides auffallen konnte, ist eine grüne Schlange, die sich langsam zwischen den Blättern hindurch bewegt. Auf dem Weg zurück zum Mutterschiff sehen wir sogar eine Gruppe Rehe ("Chital") neben uns, die sich jedoch schon beim Geräusch der klickenden Fotoapparate in den Wald zurückziehen.

Nach dem Frühstück geht es dann an den Strand und natürlich ins Meer! Im aufgewühlten, dafür ziemlich warmen Indischen Ozean lässt es sich schon eine Weile aushalten. Leider müssen die bangladeschischen Frauen, die auch mit unserer Reisegruppe unterwegs sind, fast voll bekleidet ins Wasser. Die europäischen Frauen finden in puncto Bademode einen Kompromiss, der für die bangladeschischen Männer wiederum Grund genug ist, auf zahlreiche Gruppenfotos mit uns zu bestehen. Auch die Panoramabilder vom Strand bekommen so viel mehr Pep, wenn im Vordergrund Europäerinnen mit Bikini zu sehen sind.

Am späten Nachmittag fahren wir zu meinem persönlichen Highlight des Ausflugs. Diesmal zu Fuß, begeben wir uns auf die Spur des bengalischen Tigers in den Dschungel. Der Begriff Regenwald macht schon nach wenigen Minuten Sinn. Nicht nur dass Schauerwetter aufzieht, auch der Boden des Waldes ist eine einzige matschige Pfütze, in die wir bei jedem Schritt bis zum Knöchel versinken. Gut, dass wir vom Reiseveranstalter (der hier nebenbei mal kräftig für die perfekte Organisation gelobt sei) zuvor wasserdichte Armeeschuhe bekommen haben. Neben einer Gruppe Wildschweine, die unseren Weg kreuzt, beobachten uns auch wieder Rehe aus der Ferne, und wer weiß, wer noch…


(Zu Fuß durch den Mangrovenwald)

Der Guide zeigt uns relativ frische Kratzspuren, die von den mächtigen Pranken eines Tigers stammen, während das Gewehr unseres Beschützers durch die Gruppe wandert, damit die Bangladeschis für Angeber-Fotos posieren können. Anschaulich erklärt unser Guide, dass wir uns quasi im Schlafzimmer des Tigers befänden. Als wir Überreste von Tigerkot finden, drängt sich unwillkürlich der Gedanke an „Katzenklo“ auf. Konsequenterweise denken wir darüber nach, ob der Tiger wohl jetzt gerade eben in die Küche geht, um mal im Kühlschrank nachzusehen, was es zum Abendbrot gibt und hey: eine Herde Menschen (aus Sicht des Tigers „easy food“) bietet sich an. Als hätte uns der Guide verstanden, weist er daraufhin, dass die Dämmerung die bevorzugte Jagdzeit der Raubkatze sei und wir, langsam aber sicher, zurück zum Boot gehen sollten. Zwar fallen die Tiger in der Regel keine Menschen an, sind im Gegenteil eher scheu, doch liest man in der Zeitung hin und wieder von Angriffen auf Holzfäller. Die Bewohner der, an den Wald angrenzenden, Dörfer gehen daher mit großem Respekt und nie nach Einbruch der Dunkelheit in den Dschungel.

Damit verbindet sich auch die große Bedeutung des Tigers für Bangladesch, die doch nicht nur eine symbolische ist. Weil die Menschen den Tiger fürchten, ist er gleichzeitig Garant für den Erhalt des Waldes. In einem Land, das sich einem Mangel an Flächen und funktionierender Verwaltung gegenübersieht, sind die rund 200 verbliebenen Exemplare der Raubkatze (die größte Einzelpopulation der bedrohten Art weltweit) die einzig zuverlässigen Hüter des Waldes.

(Ein Sturm zieht auf)

Und ohne diesen Wald würde Bangladesch wohl untergehen. Dabei geht es nicht um mögliche Einnahmen aus dem Tourismus. Jedes Jahr im Herbst erlebt das Land eine Sturmsaison. Noch immer ist die Gewalt des Wirbelsturms „Sidr“, der im November 2007 wütete, an den zahlreichen umgeknickten Bäumen abzulesen. Zwar hat der Orkan in der gesamten Küstenregion große Schäden angerichtet und Tausende Bangladescher obdachlos gemacht. Tatsächlich hat der Dschungel aber Schlimmeres verhindert, nämlich dass „Sidr“ ungebremst auf das Hinterland von Bangladesch, etwa die Hauptstadt Dhaka, treffen konnte.

So bleibt die legendäre Kraft des bengalischen Tigers auch fast 40 Jahre nach der Unabhängigkeit mit dem Wohl des bangladeschischen Volkes aufs Engste verknüpft. Im Gegensatz zu den Dorfbewohnern jedoch, sehen einige Leute in der Zentralregierung diesen Zusammenhang leider nicht und behindern die Arbeit des lokalen Tigerschutzprojektes.

Samstag, 21. März 2009

Müll

Nach einem Mülleimer sucht man in den Städten von Bangladesch oft vergebens. So landet der Abfall da, wo er anfällt. Zum einen fehlt nahezu jedes Bewusstsein, seinen Müll nicht auf die Straße zu schmeißen, zum anderen eben an Mülleimern. Es hat Versuche gegeben, solche entlang der großen Straßen, etwa in Dhaka, aufzustellen. Leider wurden diese jedoch bald zerstört. Und zwar von den Hunderten von Sammlern, die mit Plastikflaschen kleines Geld verdienen oder im Unrat noch etwas Brauchbares für sich finden. Der Müll, der sich nicht direkt verwerten lässt, wird zusammengefegt und auf offener Straße verbrannt, was ätzende Dämpfe und erbärmlichen Gestank verursacht. Zudem erscheint es mir als unkalkulierbares Brandrisiko, gerade jetzt in der Trockenzeit, und ich habe noch nie jemanden gesehen, der die Feuer direkt beaufsichtigen würde. Der einzige Lichtblick ist das Verbot von Plastiktüten. Die Regierung hat das vor einiger Zeit durchgesetzt, weil die Tüten die Abwasserkanäle (die nebenbei gesagt auch eine Katastrophe sind) verstopft haben. So bekommt man im Laden jetzt nur noch Papiertüten oder Tragenetze aus Leinen. Eine öffentliche Müllabfuhr kommt dagegen kaum in Gang, weil die meisten Bürger keine Notwendigkeit darin sehen und daher nicht bereit sind, Steuern dafür zu bezahlen (die Einstellung zu Steuern ist allgemein eher skeptisch, soll heißen es werden generell kaum welche bezahlt). Pilotprojekte, wie in Mymensingh (siehe Foto), sollen die Leute davon überzeugen, dass das durchaus Sinn machen kann. Über ein Jahr lang wird der Müll jetzt regelmäßig von Zentralpunkten abgeholt, danach soll die Müllabfuhr in die städtische Verwaltung übergeben und von den Bürgern (die dann, so hofft man, diesen Service zu schätzen gelernt haben) finanziert werden. Man darf gespannt sein!

(Fotos: oben: Müll am Straßenrand in Dhaka; links: Nicht ohne Risiko, Müllverbrennung am Seeufer in Dhaka; rechts: Müllabfuhr in Mymensingh)


Mittwoch, 18. März 2009

CARAM

So heißt ein Spiel, das hier viel auf den Straßen gespielt wird. Es funktioniert ein bisschen wie Billard. Es spielen zwei gegen zwei. Die Spieler desselben Teams stehen sich am Brett gegenüber. Auf dem Brett ist ein Quadrat gezogen, von dessen Linien aus mit einer Art Puk versucht wird, kleine flache Scheiben in eines der Löcher am Rand zu befördern. Dabei darf der Spieler, der dran ist, nur von seiner Quadratseite aus schnipsen. So lange man trifft, ist man dran. Ziel ist, alle Scheiben zu versenken. Aber was rede ich, einfach mal reingeschaut...

Montag, 16. März 2009

Zu Gast in Nahora


Ein weiter Blick über Reisfelder, klare Luft und das Zirpen von Zikaden in der Mittagshitze: das ist Asien, wie ich es schon anderswo lieben gelernt habe. Zusammen mit meinem Kollegen Azad (,Freiheit') besuche ich sein Dorf Nahora, etwa 30km entfernt von Mymensingh. Gleich bei der Ankunft bildet sich eine Menschentraube um uns herum, die uns bis zu unserer Abfahrt begleiten wird. Eingehend werden meine Kleidung und mein Fotoapparat gemustert. Tiefe Blicke aus dunklen Augen suchen Kontakt, die Frauen laufen sofort ins Haus.
Als einer der Wenigen seines Dorfes hat es Azad an eine Hochschule geschafft und Politik studiert. Seine Familie besitzt reichlich Land aus dem sie bis zu 100 Tonnen Reis im Jahr herausbekommen. Die meisten der Bewohner dagegen sind landlos und extrem arm („hardcore poor“). Eine Schule haben die wenigsten besucht (rund 60% sind Analphabeten). Da aber die Lösung so ziemlich aller Probleme Bangladeschs (und davon gibt es einige) mit Bildung anfange, baut Azad im Dorf eine Schule.
Am Vormittag sollen rund 20 Grundschüler unterrichtet werden, am Abend einige Frauen der ärmsten Familien. Finanziert hat er das aus eigener Tasche und mit Hilfe von Kollegen. Auch die Baupläne stammen von Azad. Schließlich habe er es in einen gut bezahlten Job geschafft. Statt jedoch, wie die meisten gutsituierten Bangladeschis, in Auto und Villa zu „investieren“, wolle er zurückgeben. Vorgenommen hat er sich Einiges: eine Art Schulfarm soll her, damit die Kinder zählen lernen und die Frauen Grundbegriffe der Landwirtschaft. Viele Frauen, manche haben sieben, acht und mehr Kinder, werden von ihren Ehemännern sitzen gelassen und haben ohne Land keine Chance sich zu ernähren. Ihnen will er Perspektiven eröffnen, ein kleines Einkommen zu generieren. Leider geraten Azad‘s ehrgeizige Vorhaben immer wieder ins Stocken, weil das Geld von Zeit zu Zeit knapp wird. Bereits fertiggestellt ist allerdings eine Biogasanlage, „German Quality“, versichert er mir. In ihr wird aus Kuhdung und Wasser Gas, das zum Betrieb kleiner Kochstellen direkt abgezapft werden kann. In Zukunft plant er, dieses auch abzufüllen,
um es an anderer Stelle nutzbar zu machen. Nach unzähligem Händeschütteln verlassen wir das Dorf wieder in Richtung Dhaka und ich habe an diesem Wochenende mehr über Bangladesch gelernt, als in den drei Wochen vorher.

Samstag, 7. März 2009

Besuch in Rishi Para

Stimmengewirr, dampfende kleine Pfannen auf Holzkohlefeuern, gemischt mit dem erbärmlichen Gestank von Müll erwarten mich in Rishi Para, einem Slum etwa 30km südlich von Dhaka. Auf der Fläche eines Fußballfeldes leben hier über 2.000 Menschen, vor allem Kinder, in kargen Wellblech-Hütten zusammen. Die Wege zwischen den Hütten sind keinen Meter breit. Jeden Schritt wähle ich mit Bedacht, um nicht einem der zahlreichen Kinder, die mich sofort umringen und meine Kamera bestaunen, auf den Fuß zu treten.
Der erste Eindruck überwältigt mich. Natürlich habe ich mich vorbereitet: mit Daten und Fakten, aber die Emotionen, die diese kleinen braunen Augen in mir auslösen sind zu unmittelbar, als dass ich sie ohne Weiteres einordnen könnte. In ihnen ist nichts Anklagendes, kein Vorwurf gegenüber einem Wohlstandseuropäer, der sich ein wenig schuldig fühlt am Elend der Welt. Im Gegenteil, sie scheinen glücklich, dass jemand ihren Slum besucht. Denn außer der GTZ und einigen Hilfsorganisationen interessiert sich niemand für diesen Ort. Ein Ort, wie es ihn hundertfach gibt in Bangladesch.
Die jahrzehntelange Unterernährung ist den Menschen anzusehen. Die sanitären Einrichtungen sind katastrophal, teilen sich doch etwa fünf Haushalte eine Latrine. Seit 1975 sieht die tägliche Realität in Rishi Para so aus. Der lokalen Verwaltung der Stadt Narayanganj, zu der der Slum gehört, fehlen die Mittel und vor allem das Land, um den Leuten hier ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Und als ob diese Eindrücke und Informationen nicht genug wären, sagt mir ein GTZ-Kollege, dass es den Menschen in Rishi Para, im Vergleich zu den ländlichen Regionen, noch "gut" gehe. Zwar mangele es in den städtischen Slums oft am Nötigsten, aber immerhin gäbe es zu essen.

Sonntag, 1. März 2009

Dhaka von oben

Vom Dach des GTZ-Büros aus bekommt man eine Ahnung von den Ausmaßen des Molochs Dhaka. Zwischen 15 und 20 Millionen Menschen (niemand weiß Genaues) leben hier, davon viele auf der Straße. Der öffentliche Nahverkehr beschränkt sich auf Busse aus den 50ern, da eine U-Bahn jedes Jahr überflutet würde und eine S-Bahn mangels Platz (das größte Problem von ganz Bangladesch) nicht gebaut werden kann.

Flaggen landesweit auf Halbmast


Auch fünf Tage nach der Meuterei der BDR-Truppen dominiert das Thema die bangladeschischen Medien. Am 28.02. wurden neue Massengräber im BDR-Hauptquartier gefunden: damit steigt die Zahl der Toten auf 73, rund 50 Menschen werden noch vermisst. Derweil versucht sich Bangladesch in nationaler Eintracht bei der Trauer um die Toten. Neben speziellen Gedenk-Gebeten , stehen die Flaggen vor öffentlichen Gebaeuden auf Halbmast, wichtige Firmen schalten Kondolenz-Anzeigen (siehe Foto).
Auch die Armee, die bis Ende Dezember die Macht im Land ausübte, hält sich zurück, fordert aber die rasche Aufklärung und Bestrafung der Verbrechen. Mysteriös bleibt vor allem, warum die zahlreichen Geiseln im Hauptquartier der BDR getötet und verscharrt wurden, bevor die Forderungen gestellt wurden. Premier- ministerin Sheikh Hasina hat inzwischen sogar das US-amerikanische FBI um Hilfe bei der Aufklärung gebeten. Insgesamt scheint Hasina ihre erste wichtige Prüfung, mit der politischen Lösung des Konflikts, bestanden zu haben.

(Bilder: links, Flaggen auf Halbmast vor Polizeistation in Dhaka (01.03.); rechts, Front-Seite Daily Star vom 02.03.)